Weihnachten in Deutschland mit 1 Millionen Flüchtlinge
Als ich kürzlich in Frankreich war, habe ich mich auf Lebensmittel gestürzt. So nahm ich 15 kg diverses Essen im Koffer zurück. Jetzt in Deutschland angekommen sind es Eindrücke, die mich bewegen und mir den Eindruck geben, zu Hause zu sein. Der Weihnachtsmarkt, ein Glühwein, die Bild-Zeitung mit dem einen Hitler-Hoden, die alten Wiesbadener Villen, ein ausgiebiger Besuch beim Drogeriemarkt. Kein Zweifel mehr. Ich bin wieder zu Hause.
Aber wie sieht mein deutsches Zuhause mit 1 Millionen Flüchtlinge aus?
Washington ist weit weg, wenn man die Flüchtlingslage in Deutschland verfolgen will. Spätestens im Oktober, als die Sporthalle in unserer alten Straße als Notunterkunft umgewandelt wurde, war es konkret. Nun bin ich wieder in Wiesbaden, und suche nach Anzeichen. Unsere Freunde hatten berichtet, dass sie am Stadtrand untergebracht wurden. Waren die drei Männer auf die Bank, arabisch sprechend, Flüchtlinge oder nur Freunde aus der Stadt? Und diese Familie, auch arabisch sprechend, einfach nur zu Besuch für die Feiertage oder doch Flüchtlinge aus Syrien?
Ich habe in den letzten Tagen viele Freunde getroffen. Ich habe auch einige Termine wahrgenommen. Mit allen habe ich mich über die Flüchtlingslage unterhalten. Es galt bei allen: in Wiesbaden oder Eltville sieht man sie kaum. In Frankfurt, am Rebstockbad, sind sie schon mehr sichtbar. Mir fällt auf, dass keiner ein einziges negatives Wort fallen ließ.
Längere Gespräche geben schon ein etwas differenziertes Bild wieder. Die schiere Menge von 1 Millionen Menschen macht fast 1% der Bevölkerung aus. In den Vororten von Wiesbaden wehren sich massiv die Einwohner. Sie können gerne kommen, aber bitte nicht zu uns. In Wiesbaden wird eine große Sporthalle, direkt in der Stadt, bald 1.000 Flüchtlinge aufnehmen. Sie sind dann nicht mehr am Stadtrand, quasi unsichtbar, sondern mitten im Leben. Alles in allem, viele wünschen sich eine Obergrenze. Deutsche mögen Zahlen. Mit Fakten können sie besser umgehen.
Einstellung der Deutschen zur Asyl- und Flüchtlingspolitik
Im Oktober, die “Initiative Markt- und Sozialforschung” veröffentlichte eine Studie zur Einstellung der Deutschen zur Asyl- und Flüchtlingspolitik:
– 2/3 der Deutschen sahen ihr Land als Einwanderungsland. Die Aussage unterlag allerdings große regionale Differenzen. Im Osten lehnten fast die Hälfte ab.
– Mehr als 4/5 wollten die Grenzkontrolle einführen
– 90 Prozent der Deutschen waren der Meinung, die Anzahl der pro Jahr in Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge sollte begrenzt werden
– und 72% forderten einen Aufnahmestopp von Flüchtlingen
Integration, Schweigepflicht und Medien
Viele meiner Ansprechpartner sprechen von Integration, die aber von beiden Seiten ausgehen sollte. Mein Frauenarzt berichtet darüber, dass ein werdender Vater aus Syrien im Kreißsaal alle Kreuze abgehängt hat.
Meine Frisörin erzählt, dass ihr Mann, Polizist, regelmäßig zu Schlägereien in Aufnahmelager ausrücken muss. Er darf eigentlich nicht darüber reden.
Mir fällt auch auf, dass das Thema die Medien beherrscht. Tageszeitung, Zeitschriften, Radio leuchten es aus verschiedenen Perspektiven ein. Ich finde die Berichterstattung eher positiv. Die Hörzu, eine große Fernsehzeitschrift, brachte letzte Woche drei Seiten über die größten Flüchtlingsströmen aller Zeiten. Das Motto: im Vergleich ist die jetzige Situation relativ harmlos.
Deutschen reden auch viel darüber, wie Flüchtlinge im Arbeitsmarkt integriert werden können. Welches Bildungsniveau bringen die Asylsuchenden mit? Ein Blick in Google hilft da nicht weiter. Die Informationen kommen aus unterschiedlichen Quellen, können nicht miteinander verglichen werden und widersprechen sich. HR Info, der Informationssender aus Hessen berichtete kürzlich, dass ca. 1/3 der untersuchten Flüchtlingen qualifiziert genug wäre, um mit ausreichenden Deutsch-Kenntnissen hier arbeiten zu können. Ein weiteres Drittel müsste sich noch beruflich weiter qualifizieren, um typische deutsche Anforderungen gerecht zu werden.
Flüchtlinge ist das Wort des Jahres
Ja, ich habe vieles gehört oder gesehen in den letzten Tagen. Jedes Jahr wählt die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort des Jahres. Flüchtlinge ist das Wort des Jahres 2015 (“Je suis Charlie” landete auf Platz 2). Die Sporthalle in meiner alten Straße ist unauffällig. Außer Sichtschutz rund herum, nichts deutet auf Flüchtlinge.
Ich finde die Situation überwältigend. Für mich kommt das deutsche Organisationstalent voll zur Geltung. Freiwillige Helfer sind erschöpft, aber die Maschinerie läuft. Wenn ein Land es schaffen kann, eine Million Menschen in kurze Zeit zu unterbringen, dann ist es Deutschland. Wie viele Deutschen frage ich mich, ob die Integration gelingen wird. Meine französische Wurzel wissen, dass es Frankreich nicht gelungen ist. Frustrierte junge Menschen haben jegliche Hoffnung verloren und sind eine leichte Beute für radikale Islamisten. Das sollte Deutschland auf keinem Fall passieren.
Angela Merkel ist vom Time Magazin Personen des Jahres gewählt worden. Der Artikel beschrieb die deutsche Kanzlerin als eine außergewöhnliche Politikerin, die Fakten für Entscheidungsfindung hochschätzt. Der Spiegel berichtete mal, dass das Kanzleramt 600 Meinungsforschungen innerhalb von vier Jahren in Auftrag gab. Sehr wahrscheinlich ist es, dass die Kanzlerin die Stimmungslage in Deutschland sehr genau und regelmäßig verfolgt. Ob das reicht, um eine Obergrenze zu ziehen, bleibt offen.