BurkiniGate – es geht um mehr als Rassismus
Seit Mitte August ist es nicht nur in Frankreich das Top Thema, sondern auch in den internationalen Medien: das Burkini-Verbot am Strand. Selten habe ich soviel Falsches über Frankreich gelesen. Zeit also, aus meiner Perspektive meine Landsleute zu durchleuchten: Franzosen sind durch den Terror verunsichert und suchen nach Orientierung in einem Land, wo seit einem Jahrhundert Religion Privatsache ist.
Warum erhebe ich heute meine Stimme?
Ich bin Französin, geboren und aufgewachsen in Frankreich. Dort bin ich zur Schule gegangen und dort habe ich studiert. Mit 20 zog ich nach Deutschland, um mit meinem deutschen Freund zusammen zu sein. Ich habe seitdem in Deutschland gelebt. Seit 2010 habe ich auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Um die Geschichte rund zu machen, sei erwähnt, dass ich 2013 in die USA umgezogen bin. Ich lebe und arbeite heute in Washington, der amerikanischen Hauptstadt.
Wahrscheinlich weil ich ein wenig überall hin gehöre, lese ich sowohl die deutsche Presse (Der Spiegel und Handelsblatt) als auch französischen (Le Monde und Les Echos) und englisch-sprachigen Zeitungen (The Economist, Washington Post und New York Times). Ich folge außerdem den News auf Twitter. Ich schaue keine Nachrichten im Fernsehen, höre aber abends Radio: Bayern 5, NPR und France Info.
Was ich damit sagen will ist, dass mein Blick auf die Berichterstattung nicht auf einer einzigen Quelle begrenzt ist.
BurkiniGate – die Fakten
Ein Burkini ist der Bikini der Musliminnen. Er sieht fast wie der Neopren-Anzug von Tauchern aus, nur irgendwie modischer oder weiblicher. Gläubige Musliminnen tragen ihn am Strand, wenn sie baden wollen. Nur ihr Gesicht und ihre Füßen sind entblößt.
[tweetthis twitter_handles=”#burkinigate #cannes”]Der Burkini ist der Bikini der Musliminnen.[/tweetthis]Am 28. Juli hat der Bürgermeister von Cannes (weltberühmt für seine Filmfestspiele) Burkinis am Strand verboten. Andere Städte in Südfrankreich sind diesem Beispiel gleich gefolgt.
Am 26. August hat das französische Verwaltungsgericht das Burkini-Verbot gekippt.
Erst Mitte August ist die Nachricht in den internationalen Medien angekommen. Was ich seitdem gelesen habe, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Mit dem Burkini-Verbot treibt Frankreich Segregation statt Integration voran.
So einfach ist es nicht.
Zuerst gibt es die Feministinnen
Ganz laut sind die Feministinnen: der Burkini ist ein Gefängnis für Frauen und sollte sofort abgeschafft werden.
Die französische Philosophin und Professorin Elisabeth Badinter brachte es auf einem Punkt: Vollkörperverschleierung ist kein religiöses Gebot sondern eine Tradition in Saudi Arabien und Afghanistan/Pakistan. Warum also Misstrauen und Angst erwecken in einem demokratischen Land, das Chancengleichheit für Frauen fordert?
Dann gibt es die Verunsicherung wegen der Terroranschläge
Charlie Hebdo, Le Bataclan, Nizza: drei Anschläge, die von radikalisierten Muslimen verübt wurden.
Daher ist es für manchen klar: Muslime sind an allem Schuld, “man” hat sie ins Land gelassen und “man” sollte sie jetzt alle aus Frankreich jagen. Die rechtspopulistische Partei Front National profitiert als erstes davon, und sieht ihre Zustimmungswerte steigen.
In Frankreich leben zwischen 6 und 9 Mio. Muslime. Die Zahl ist ungenau, da offizielle Erhebungen nach ethnischer und religiöser Zugehörigkeit verboten sind.
In 2015 teilte Jean-Marie Le Pen, Gründer der Front National einer russischen Zeitung mit, dass 15 bis 20 Millionen Muslime in Frankreich leben würden. Viele Franzosen stimmen ihm zu: In einer Umfrage von 2014 für eine britische Zeitung schätzten Franzosen deren Anteil auf 31% !
Andere versuchen es mit Vernunft: Nicht alle Muslime sind Terroristen. Wie sollte man jedoch “gute” Muslime von den Bösen und Gefährlichen unterscheiden, fragen sie sich, und nicht alle Muslime in einen Topf werfen?
Mangelnde Orientierung der Gesellschaft
Wie ganz Frankreich bin ich auch durch die Terroranschläge der letzten zwei Jahren verunsichert und suche nach Orientierung.
Orientierung findet man einerseits in Frankreich in der strikten Trennung von Staat und Religion und dies bereits seit 1905. Die Laizität ist sogar in der Verfassung verankert. Die Auslegung ist anderseits immer umstritten und findet sich bis heute in der politischen Diskussion wieder.
[tweetthis display_mode=”box”]#Frankreich – Die strikte Trennung von Staat und Kirche ist in der Verfassung verankert[/tweetthis]Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Meine Mutter ging zu einer katholischen Schule, ihre Lehrerinnen waren Nonnen. Mein Vater und ich besuchten öffentliche Schulen. In den späten 80er Jahren, ich war noch Studentin, kam die Frage auf: dürfen Mädchen mit einem Kopftuch zur Schule gehen? Das Gesetz von 1905 beantwortete aber diese Frage nicht.
Für meinen Vater und mich war es klar, Kopftücher und Kippas haben in den Schulen nichts zu suchen. Es sind öffentlichen Schulen, und Religion ist eine private Angelegenheit. Wen es stört, der sollte dann zur katholischen, jüdischen oder muslimischen Schule gehen. Meine Mutter wollte auch kein Kopftuch in den Schulen sehen, Kreuze darf man schliesslich auch nicht da aufhängen.
Erst in 2004 hat das Parlament mehrheitlich für einen Gesetz bestimmt: Offensichtliche Zeichen eines Glaubens sind in Schulen verboten. Klartext: Schleier, Kopftuch, Kippa nein, Kreuzanhänger unter dem Pulli ja.
[tweetthis]In Frankreich findet kein schulischer Religionsunterricht statt #burkinigate[/tweetthis]Ich lebe seit langem nicht mehr in Frankreich, und ich finde diese Gesetze verwirrend. Kopftücher sind in den Schulen verboten, aber nur für die Schüler. Mütter dürfen mit Kopfbedeckung zum Elternabend kommen. Wieso?
Kopftücher sind in den Schulen aber nicht in den Universitäten verboten. Wieso?
In 2011 wurde das Tragen von Ganzkörperschleiern in Frankreich verboten. Aber das Tragen des Burkinis ist erlaubt. Wieso?
[tweetthis twitter_handles=”#burkinigate” display_mode=”box”]In 2013 waren 84% der Franzosen gegen Kopftüchern in öffentlichen Gebäuden.[/tweetthis]63% der Franzosen beklagen in einer Umfrage von 2016, dass der Einfluß und die Sichtbarkeit des Islams in Frankreich zu ausgeprägt sei. In 2010 waren es nur 55%.
Mit dem Verbot von Burkinis am Strand glaubten Franzosen, eine Orientierung gefunden zu haben.
Das Wort zum Schluss
Bis heute war ich mir nicht sicher, was ich vom Burkini-Verbot halte.
Ich halte mich für liberal. Vor 16 Jahren kam mein allererstes Aupair Mädchen aus Marokko. Sie trug ein Kopftuch sobald sie aus dem Haus ging, natürlich auch wenn sie mit meiner Tochter unterwegs war. Heute bin ich mir nicht so sicher, ob ich so tolerant wäre.
Mein Mann sagte gestern: Wenn in Rom, wie die Römer tun. Wir teilen selten die gleiche politische Meinung, aber wenn er recht hat, hat er recht.
Bouchra, mein Aupair, lebt seitdem in Deutschland. Sie hat von sich aus vor zehn Jahren das Kopftuch abgelegt.
In Rom wie die Römer.
Foto credit by Giorgio Montersino